Am 15. April 2023 wurden die letzten laufenden Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz genommen, damit endete die Ära der Nutzung der Kernenergie zur Erzeugung von Elektrizität in diesem Land. Dadurch wird die Frage aufgeworfen, ob es sich im Jahr 2023 noch lohnt in die Branche der Kernenergie zu wechseln bzw. in dieser Branche eine Karriere zu beginnen.

Es ist wahrscheinlich eine der Fragen, die die Teilnehmenden der KTG-Exkursion „Nordwest“ dazu veranlasst hat, sich dieser Exkursion anzuschließen, denn die Exkursion wendete sich gezielt an Quereinsteiger und Young Professionals.

Ziel der Exkursion war die Vermittlung von praktischen Kenntnissen in Anlagen des nuklearen Brennstoffkreislaufs, dabei wurde darauf geachtet möglichst die gesamte Bandbreite des nuklearen Brennstoffkreislaufs zu zeigen und dies innerhalb von nur einer Woche. Die daher mit Informationen prallgefüllte Woche begann für uns Teilnehmende am Montag, den 18. September 2023, in Gronau.

Der Anfang der Exkursion fiel mit dem Anfang des nuklearen Brennstoffkreislaufs zusammen, denn in Gronau wurde mit der Urenco Deutschland GmbH eine Urananreicherungsanlage besichtigt.

Doch zunächst wurde mit einem Mittagessen gestartet, welches den Teilnehmenden schon einmal die Möglichkeit gab, sich gegenseitig kennenzulernen. Schließlich würden die meisten der Teilnehmenden die nächsten fünf Tage rund um die Uhr zusammen verbringen. (Es gab auch die Möglichkeit nur am Montag und Dienstag bzw. von Mittwoch bis Freitag teilzunehmen.) Aus allen Bereichen der kerntechnischen Branche waren Mitreisende zu finden, sodass die Wissensstände an den verschiedenen anstehenden Themen kaum größer hätten sein können.

Nach der Begrüßung durch Herrn Andreas Meyering, Leiter der Anlage, wurde beim ersten Vortrag der Woche die Urenco von Herrn Stefan Heckenmüller, Leiter Instandhaltung, vorgestellt. Dabei wurde sowohl auf die gesamte Urenco Gruppe als auch auf den Standort Gronau im speziellen eingegangen. Hier zeigte sich gleich am ersten Tag, dass das Abschalten der Kernkraftwerke nicht das Ende der Kerntechnik in Deutschland bedeutet.
Ganz im Gegenteil: Es wird bei der Urenco aktuell stark investiert; auch um den Wegfall der russischen Kernbrennstoffe (durch den Ukrainekrieg und die damit verbundenen Embargos) zu kompensieren.

Bei der anschließenden Führung durch die Anlage konnten wir einen Einblick in den Anreicherungsprozess gewinnen.

Nach der Besichtigung der Anlage nahmen wir Kurs aufs erste Hotel. Zwischen Einchecken im Hotel und Abendessen blieb noch kurz Zeit sich einmal frisch zumachen. Doch das Abendessen war noch nicht der Abschluss des Tages, denn nach dem Abendessen gab es einen weiteren spannenden Vortrag.

Dieser Ablauf sollte sich die nächsten Tage wiederholen, sodass die Besichtigungen vor Ort durch Vorträge ergänzt wurden, die Einblicke in verschiedenste Themenbereiche der Kerntechnik gewährten. Somit endeten die prallgefüllten Tage stets erst nach 21 Uhr.

Am Montag ging es im Vortrag von Frau Sara Beck von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) um SMRs (Small Modular Reactor). Dabei wurde von den verschiedenen Reaktortypen berichtet und die Vor- und Nachteile der SMRs gegenüber größeren kerntechnischen Anlagen beleuchtet. Angesicht der aktuell weltweiten Bestrebungen in die Richtung der SMRs könnten diese also eine Technologie der Zukunft sein, auch wenn die Technologie selbst -in Kerntechnischen Zeitmessungen- recht alt ist, wie das Beispiel frachtfahrendes Nuklearschiff Otto Hahn zeigt.

Am nächsten Morgen ging es nach dem Frühstück direkt weiter zur Advanced Nuclear Fuels GmbH in Lingen, wo nicht nur die nächste Besichtigung, sondern auch der nächste Schritt im nuklearen Brennstoffkreislauf auf uns wartete. Wie Dr. Hendrik Wiesel, Manager Competence.hub, in seinem Vortrag zur Begrüßung berichtete, ist die Advanced Nuclear Fuels GmbH in Lingen eine der wenigen Anlagen weltweit, die in der Lage ist Brennelemente individuell nach Kundenwunsch anzufertigen und dabei die hohen Qualitätsansprüche
gewährleistet.

Eine Führung durch die Anlage zeigte den Prozess ab der Anlieferung des angereicherten Uranhexafluorids bis hin zum fertigen Brennelement.

Zum Mittagessen ging es am Dienstag weiter ins Kernkraftwerk Emsland (KKE), wo die Begrüßung im Infozentrum durch den Leiter der Anlage Herrn Wolfgang Kahlert stattfand, bevor es einen Fachvortrag zum Thema „Innovation bei RWE Nuclear“ gab. In diesem wurden neue Technologien vorgestellt, die RWE im Rückbau ihrer Anlagen zum Einsatz bringt. Dabei wurden vor allem die vollautomatischen Systeme zum Entlacken mit Wasserhöchstdruck (ROBBE), ein Verfahren zum Entschichten mit LASER sowie ein selbst laufender Roboter zur automatischen Messung von Oberflächenkontamination vorgestellt.

Bei der anschließenden Führung durch den äußeren Sicherungsbereich kam zum ersten Mal in der sonst so fröhlichen Runde ein wenig Beklommenheit auf. Beim Höhepunkt des Rundgangs im Maschinenhaus wurde die herrschende Stille von allen, die schon einmal in einer laufenden Anlage auf dem Turbinenflur standen, als ungewöhnlich und unangenehm wahrgenommen. Man spürte gleich, dass das Abschalten im KKE noch kein halbes Jahr her ist und man sich noch nicht voll mit dem neuen Anlagenzustand angefreundet hat.

Beim Abendessen war die zwischenzeitlich getrübte Laune wieder angehoben und pünktlich zum Dessert wurde von Herrn Heiko Eisert, Standortentwicklung, Sonderprojekte & GAS Support, von den Zukunftsplänen der RWE am Standort Lingen berichtet.

Zentral dominierte das Thema Wasserstoff den Vortrag, welcher als ein wesentlicher Teil, neben beispielsweise Megabatterien, die Zukunft des Standorts bestimmen soll. Neben Wasserstofftankstellen, der Einspeisung ins Gasnetz wurde auch über die Produktion von CO2 freiem Stahl berichtet. Auch an diesem Abend zeigte sich durch die anschließende Diskussion, dass man zwar (nach 12h straffen Zeitplan mit permanent neuen Eindrücken) sehr müde wird, die Spannung der Vorträge aber eindeutig überwiegt.

Der Mittwoch startete mit einer längeren Busfahrt und war thematisch quasi ein Sprung in die Zukunft, denn nach der frisch vom Netz genommen Anlage KKE stand nun der Besuch des Kernkraftwerks Stade (KKS) an. Im KKS finden aktuell die Abrissarbeiten an den ersten Gebäuden im Überwachungsbereich statt und die Arbeiten im Reaktorgebäude sind bereits fast abgeschlossen. Dies konnte eindrucksvoll bei der Besichtigung des leeren Sicherheitsbehälters erlebt werden, denn dieser wurde nicht nur von sämtlichen Betonstrukturen, sondern auch vom meisten Lack befreit. Diese Entschichtung wurde mithilfe von Magnet-Crawlern an der zuvor von Störkanten beseitigten glatten Kugelinnenoberfläche durchgeführt. Auch konnte man die fortgeschrittene
Gebäudefreigabe betrachten. Auf dem Werkgelände des KKS wurde spürbar, dass Rückbau auch Neubau bedeutet, denn die Besichtigung des „Werkhofs“ führte in einen Bereich, der zu Betriebszeiten noch gar nicht zum Kraftwerksgelände gehörte.

Ein abschließender Vortrag des Leiters der Anlage Herrn Marco Albers fasste den Rückbau der kerntechnischen Anlage noch einmal zusammen und zeigte unter anderem beeindruckendes Videomaterial vom Ausbau des Kalottenmaterials mit einem Spezialbagger.

Der allabendliche Vortrag wurde am Mittwoch von Herrn Michael Bongartz, Geschäftsführer bei PreussenElektra, zum Thema Rückbauplanung bei der PreussenElektra gehalten. Dabei wurde der Zeitplan für die verschiedenen Rückbauprojekte an den Kraftwerksstandorten
der PreussenElektra vorgestellt. Auch ging er auf die unterschiedlichen Herausforderungen
an den Standorten ein und zeigte auf, in welchem Zustand sich die Anlagen aktuell befinden.
Auch bei diesem Vortrag wurde klar, dass das Abschalten der Kraftwerke noch lange nicht das Ende der Standorte darstellt, sondern mit einem Rückbau der Kernkraftwerke Platz für Neues geschaffen wird und eine Nachnutzung als Energiestandort angestrebt wird.

Thematisch bewegte sich die Exkursion nun in Richtung Entsorgung und Endlagerung, physisch begaben wir uns nach Bassum zur Eisenwerk Bassum GmbH. Dort starten wir den Donnerstag mit einem Vortrag des Geschäftsführers Herrn Alexander Beckedorf und Herrn Holger Rüchel, Leiter der Projektabwicklung, zur Gesellschaft für Nuklear- Service mbH (GNS) mit dem Fokus auf die Tochter Eisenwerk Bassum GmbH.

Bei dieser werden die „Konrad-Container“ hergestellt, welche für die Endlagerung im Schacht Konrad benötigt werden. Die anschließende Werksführung zeigte neben einem beeindruckenden Einblick in die Stahlfertigung, dass auch dieser Standort im Aufbau und nicht im Abbau begriffen ist. So wurden große Werkshallen vom Nachbargrundstück dazu
gekauft, um die Fertigungskapazitäten für die „Konrad-Container“ weiter zu steigern.

Durch das Abschalten sämtlicher Kernkraftwerke in einem vergleichbar kleinen Zeitraum,
fallen auch die leicht- und mittelradioaktiven Abfälle in einem kleinen Zeitraum an, sodass der
Bedarf an „Konrad-Containern“ in die Höhe schnellt. Die Kapazitäten müssen auf bis zu 1.500
Container im Jahr gesteigert werden, wobei eine Hauptherausforderung bei den individuellen Einbauten der Container liegt. Diese müssen je nach Kundenwunsch speziell für die einzulagernden Teile angepasst werden, sodass fast jeder Container ein Einzelstück ist.

Nach der Werksführung ging es mit dem Bus in Richtung Schacht Konrad, wobei es an diesem Abend zunächst einen theoretischen Blick über den Standort gab, denn im Hotel wurde vom Bereichsleiter Technik Herrn Andreas Reichert der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ein Vortrag zur gesamten BGE gehalten. Dabei wurde nicht nur über die verschiedenen Standorte und deren Herausforderungen berichtet, sondern auch zur Standortsuche des Bundesendlagers für hochradioaktive Abfälle. Dabei wurde deutlich,
dass auch hier noch eine Menge Aufgaben im Bereich der Kerntechnik in den kommenden Jahrzehnten anfallen werden. Neben dem Leerräumen des Standorts Asse wurde auch über die Vorbereitung zum Einlagerungsbeginn am Standort Schacht Konrad berichtet, welchen wir am Freitag besichtigen konnten.

Bei der Führung über die Anlage Schacht Konrad zeigte sich rasch, dass hier die Kerntechnik und der Bergbau Hand hin Hand gehen, so mussten wir uns an neue Begrifflichkeiten, wie Kaue (Umkleide) oder Lutte (Zu- bzw. Abluftleitung) gewöhnen.

Das Gelände von Schacht 1 wird dominiert vom unter Denkmalschutz stehenden Fördergerüst, über das die Bergleute und Gerätschaften zur Schaffung der untertage Infrastruktur transportiert werden. Am Schacht 2 entsteht aktuell ein Logistikzentrum und ein neues Fördergerüst, über welches bei Betrieb die Abfälle in den Kontrollbereich untertage befördert werden. Abgeschlossen wurde unsere Exkursion beim Informationszentrum
der BGE mitten in Salzgitter, wo wir zumindest virtuell in den Schacht hineinfahren konnten.

Damit endete unsere Rundreise durch Norddeutschland im Endlager, wo auch ein großer Teil
der radioaktiven Abfälle enden wird. In der Woche wurde ein Bogen geschlagen vom Anfang der Brennstofffertigung mit der Anreicherung vom Uranhexaflorid, der Fertigung der Brennstäbe und Brennelemente, über den nun geendeten Betrieb der Kernkraftwerke, deren Rückbau bis hin zum Endlager in den dafür vorgesehenen Behältern.

Die exzellent organisierte Tour zeigte den Teilnehmenden praxisnah die einzelnen Stationen
und schaffte es dabei die bunte Themenvielfalt für Einsteiger verständlich und für Fortgeschrittene dennoch spannend darzustellen. Obwohl viele der Teilnehmenden am Ende der Woche erschöpft waren und sich auf das heimische Bett freuten, so kamen doch immer wieder Rufe nach der nächsten Exkursion, nächstes Mal vielleicht im Süden, Osten oder Westen der Republik auf.

Ob nun ein Wechsel oder Karrierestart in die Branche der Kernenergie sinnvoll ist, muss jeder selbst entscheiden, was diese Exkursion aber klar zeigen konnte: Aufgaben gibt es in der Kerntechnik noch lange Zeit genügend.

Categories: Berichte

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